• Thomas Hanna Somatics


Ein gängiges Erklärungsmodell für Bandscheibenvorfälle findet sich im folgenden Zitat:

"Doch auch Bewegungsmangel, Übergewicht sowie Fehlhaltungen beim Sitzen, Tragen oder Heben können einen Bandscheibenvorfall begünstigen. Nicht zuletzt ist es eine schwach ausgebildete Bauch- und Rückenmuskulatur, die das Risiko für einen Bandscheibenvorfall erhöhen kann."

Quelle: Rückenschmerzen behandeln

Daraus erklären sich auch die unermüdlichen Bemühungen von Physiotherapeuten, Heilpraktikern, Körpertherapeuten und Ärzten die Muskulatur zu stärken und zu kräftigen. Dass körperliche Fitness für die Gesundheit einen wichtigen Faktor bildet, steht außer Zweifel. Von einer schwach ausgebildeten Muskulatur allein -  also einem Mangel an Muskelkraft - auszugehen führt jedoch in die Irre.

In all den Jahren der Arbeit mit meinen Patienten hat sich vor allem die Forschungsarbeit von Thomas Hanna als richtungsweisend erwiesen: mit seinem Erklärungsmodell neurologischer und sensomotorischer Sachverhalte eröffnet sich ein medizinisch fundierter Behandlungsansatz für die erfolgreiche Behandlung von Bandscheibenvorfällen.

Verlagerung von Bandscheibenmaterial in den Spinalkanal: eine der häufigsten Formen von Bandscheibenvorfällen

Bandscheibenvorfall_Ganzheitliche Physiotherapie_SchmidtAuf dem Bild ist zu sehen, wie sich Bandscheibenmaterial in den Spinalkanal (Wirbelzwischenraum) gedrückt hat, sodass die Nervenwurzel in ihrem Austrittskanal eingeengt wird. Zu sehen ist der "mechanische" Prozess während eines Bandscheibenvorfalls, welcher den Betroffenen erklärt wird. Dabei tritt die Ursache der Problematik in den Hintergrund. Häufig bleibt es bei einer mechanischen Sichtweise auch bei der Planung der Behandlung (z.B. "Schwäche der Rücken und Bauchmuskulatur", "Übergewicht" etc.). 

 

 

Die exemplarische Darstellung mit Muskeln hilft, ursächliche Zusammenhänge besser zu erklären:


Bandscheibenvorfall-Muskulatur_Praxis SchmidtDie Rückenmuskulatur hat ihren Ursprung am Hinterhauptspunkt (Übergang von Hinterhaupt zur Halswirbelsäule) und verläuft parallel zur Wirbelsäule. Die einzelnen Muskelgruppen der Rückenmuskulatur wirken synergistisch - arbeiten also "Hand in Hand" - in Form von Muskelketten. Sie beziehen das Becken und die Gesäßmuskulatur mit ein, um dann in die rückseitige Oberschenkelmuskulatur (ischiocrurale Muskulatur), die bis in die Fußmuskulatur einwirkt, zu münden.

Rücken bedeutet also jede Menge Muskulatur; lange Muskelketten, die die gesamte rückwärtige Körperhälfte des Menschen in einem gemeinsamen Verbund organisiert. Dabei bilden Faszien - wichtige Organstrukturen - "Brücken" zwischen den einzelnen Teilen der Muskelketten.

Somit wird deutlich, dass der Rücken, ein starker Verbund von Muskeln und Faszien, dynamisch agiert und reagiert. So werden über die Rückenmuskulatur auch die "Massenreflexe", wie z.B. der Start-Reflex organisiert.

 

 

Beispiel: aufrechte und gekrümmte Körperhaltung

Bandscheibenvorfall-Startreflex-Praxis Schmidt

In diesem Beispiel sieht man links eine Rückenmuskulatur mit dem roten Band dargestellt, die den Rücken stützt und aufrichtet und im Grund-Tonus, also der Grundanspannung ausgeglichen ist. Der Mensch hat dadurch eine angemessene Aufrichtung, die ihn mühelos im Alltag unterstützt.
Auf der rechten Seite sieht man, dass eine chronisch verspannte Muskulatur die Wirbelsäule zunehmend ins "Hohlkreuz" zieht. Die Lenden-Lordose ist deutlich zu sehen. Die verspannte Muskulatur kann sich selbst nicht mehr regenerieren. Das liegt vor allem in  der allmählichen Konditionierung unseres Gehirns, welches die chronische Verspannung und den erhöhten Tonus als "Normal" verbucht.
Information der Rezeptoren in Haut, Muskeln und Faszien aus der Peripherie  des Körpers an das Gehirn, die Rückmeldung über Aktivierung von Lage-, Tast -, Schmerz -, Druck -, Wärme -, Spannungs- und Dehnungszustand geben ("Feedbackschleife"), werden aufgrund der Gleichförmigkeit der Information (z.B. "Anspannung") schließlich vom Gehirn quasi "ignoriert": Es kommt zur Sensomotorischen Amnesie!

Chronisch "verspannte" Muskeln setzen die Wirbelsäule unter Druck!

Anhaltende Muskelverspannung führt zu sensomotorischer Amnesie; was bedeutet, dass das Gehirn diesen Grad der Anspannung nach einer gewissen Zeit als  "normal" verbucht. Es entsteht ein Missverhältnis zwischen Anspannung und Entspannung zu Gunsten der Anspannung, der Rücken bleibt verspannt.

Die sich daraus ergebenden Spannungsverhältnisse ziehen ihrerseits den Körper immer mehr in eine unausgeglichene Haltung. Diese Dysbalance wird - wiederum nach einer gewissen Zeit - vom Gehirn adaptiert und als "normal" eingestuft. Es entwickelt sich eine Art Teufelskreis. 

Als Konsequenz bleibt eine anhaltende Muskelverspannung über die gesamte rückseitige Muskelkette. Die Knochen und Bandscheiben werden in diesem Prozeß durch anhaltenden Muskelzug immer größerem Druck ausgesetzt. Dieser wird jedoch durch die "fehlgeleitete" Feedbackschleife zwischen Muskulatur und Gehirn nicht vermindert.

Die Bandscheiben und Knochen werden durch den entstehenden Druck aus ihrer natürlichen Lage im Körper verdrängt und geraten unter Bewegung zu Schaden, weil sie in die Bewegungskette nicht mehr optimal eingebunden sind. Der klassische Bandscheibenvorfall entsteht meist durch eine Drehbewegung, bei der eingeklemmte und unter starker Kompression stehende Bandscheiben aus Mangel an Platz in die angrenzenden Spinalkanäle der Nervenwurzel einbrechen. 

 

Richtige Therapie zum falschen Zeitpunkt?

Wenn wir uns nun mal erinnern, dass die meisten Menschen gesagt bekommen, dass ihre Muskulatur angeblich zu schwach sei und es deswegen zum Bandscheibenvorfall komme, dann klingt das vor dem Hintergrund des bisher gesagten nicht nachvollziehbar. Dieses Erklärungs- und Entstehungsmodell eines Bandscheibenvorfalls entbehrt jedoch der Grundlage. Und dennoch werden Betroffene von Physiotherapeuten und Ärzten auf dieser Grundlage behandelt, obwohl ein Muskeltraining in der Akutphase kontraindiziert ist.

Warum kontraindiziert? Die Muskulatur hat in dieser Phase die Aufgabe, den Bandscheibenvorfall, also den Druck der Bandscheibe auf die Nervenwurzel  zu kompensieren und baut reflektorisch eine sogenannte "Schutzspannung" auf. Damit will der Körper verhindern, dass es zu weiteren Verletzungen oder Entzündungsreaktionen im Bereich des akuten Geschehens kommt. Schutzspannung ist also in der Akutsituation notwendig, erhöht aber andererseits die Grundspannung noch mehr. Folgt man diesem Erklärungsmodell, erscheint Muskelstärkung an dieser Stelle unsinnig.

 

Die Lösung liegt woanders!

Zunächst ist es für Betroffene mit Bandscheibenvorfall schmerzlindernd, muskelentlastende Körperhaltungen zu erlernen:

 

  • durch entspannende Lagerung und langsame, schmerzreduzierende Bewegungen wird das Selbstvertrauen in den eigenen Körper wieder erhöht
  • das Neutralisieren des Start-Reflexes eröffnet weiteres Körperbewusstsein, dass in der Folge den erhöhten Tonus reguliert. Die Feedbackschleife zwischen Gehirn und Muskulatur wird normalisiert
  • klingt die Entzündung ab, reduziert sich die Schutzspannung und der Tonus normalisiert sich weiter
  • am Ende dieses Prozesses kann und soll die Muskulatur wieder tonisiert, also traininert und "gekräftigt" werden
  • gesündere, neue Bewegungsmuster und Körperhaltungen helfen, damit aus dem Ereignis "Bandscheibenvorfall" langfristige und anhaltende Verbesserungen und Lösungen entstehen!

 

Ärztlicherseits kann mit entzündungshemmenden Medikamenten unterstützt werden. Diese vermindern ebenfalls den Schmerz und wirken Entzündungsprozessen entgegen.

 

Viel Erfolg!

 

Die oben stehende exemplarisch dargestellte Bandscheibenproblematik soll veranschaulichen, welche Folgen ein anhaltend aktivierter Startreflexes für eine chronifizierte Muskelverspannung des Rückens haben kann. Dies gilt sicherlich nicht für alle Bandscheibenprobleme gleichermaßen. Grundsätzlich sollten Bandscheibenprobleme initial vom Arzt untersucht, diagnostiziert und eingeordnet werden.

 

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